Gegenbewegungen
Veranstaltungsreihe

Nach fast fünf Jahrzehnten einer zunehmend entfesselten Marktwirtschaft blicken wir auf tiefgreifende gesellschaftliche Umbrüche zurück: angefangen von der Weltwirtschaftskrise Mitte der 1970er Jahre über den Zusammenbruch des Staatssozialismus, die sich anschließende Phase der Globalisierung ab den 1990er Jahren, die Finanzkrise 2008/9 bis zur Gegenwart. Seither wird immer wieder, aktuell verstärkt, zwischen ausgrenzender Politik und Rechtsextremismus auf der einen Seite, Visionen einer solidarischen, gerechten und nachhaltigen Ausgestaltung des Gemeinwesens auf der anderen Seite, um die Neuordnung der Gesellschaft gerungen.

Der ungarisch-österreichische Ökonom Karl Polanyi hatte zu Beginn des letzten Jahrhunderts eine auf den ersten Blick ähnliche Situation vor Augen: die Wirtschaftsliberalisierung nach dem Ersten Weltkrieg, den Börsenkrach 1929, die Große Depression, die sozialistische und faschistische Neuordnung der Gesellschaft, den New Deal. Geschichte wiederholt sich jedoch nicht und so lässt sich nicht von damals auf heute schließen.

Karl Polanyi hat uns in seinem international viel beachteten Hauptwerk The Great Transformation jedoch eine Überlegung hinterlassen, die uns zu dieser Veranstaltungsreihe angeregt hat und der sie ihren Titel – Gegenbewegungen – verdankt. Für Karl Polanyi ist die Geschichte des Kapitalismus das Ergebnis einer „Doppelbewegung“, der „Bewegung“, mit der die Gesellschaft historisch erstmalig den Dynamiken der Marktökonomie unterworfen und zu einer „Marktgesellschaft“ gemacht worden war, und den „Gegenbewegungen“, mit denen sie sich vor den desaströsen Folgen für ihre natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen zu schützen sucht. Nicht jede Gegenbewegung, die wir heute erkennen können, richtet sich gegen die finanzkapitalistische Entwicklung, aber vieles, wogegen sich soziale Kämpfe und Proteste richten, ist durch sie mit verursacht oder vorangetrieben worden wie der Raubbau an der Natur und der Klimawandel, die globale Arbeitsmarktkonkurrenz und die Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse, die Einbrüche im sozialen Sicherungssystem und die Vermögensumverteilung von unten nach oben, die  sozialen Spaltungen u.a.m. Sie bilden den Hintergrund, wenn in Migration oder Gleichstellungsansprüchen diskriminierter Gruppen nur mehr Probleme gesehen werden und Fremden-, Frauen-, und Homosexuellenfeindlichkeit zunehmen, die Globalisierungsfolgen durch nationale Grenzziehungen bearbeitet werden statt nach lebbaren Alternativen für alle Menschen zu suchen.     

Die Veranstaltungsreihe nimmt daher das Motiv der Gegenbewegungen auf, um die sozialen Kämpfe unserer Zeit als Antworten auf einen außer Kontrolle geratenen Marktkapitalismus kritisch in den Blick zu nehmen und über Alternativen gesellschaftlicher Entwicklung nachzudenken. Wirksame Alternativen, die im Denken und Tun der Ökonomie ihren Platz zuweisen, damit sie der Gesellschaft dienen kann und nicht umgekehrt, und die Demokratie verteidigen und weiterentwickeln, entstehen nicht am Reißbrett, sondern brauchen Dialog und öffentliche Debatte. In diesem Sinne will die Veranstaltungsreihe sich nicht nur mit den Gegenbewegungen unserer Zeit auseinandersetzen, sondern auch Teil einer intellektuellen Suchbewegung für solidarische und nachhaltige Alternativen sein.

Anmeldung:

Die Veranstaltungen finden teilweise online, hybrid oder vor Ort statt. Die Anmeldung erfolgt für jede Veranstaltung einzeln und ist über www.vhs.at/gegenbewegungen möglich. 

Oktober - Dezember 2021

“Kapitalismus und Demokratie”

War der sozial befriedete Kapitalismus in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts vom Ausbau der Demokratie begleitet, ist sie seither in neuer Weise umkämpft. Der zweite Teil der Veranstaltungsreihe diskutiert aktuelle Entwicklungen und zeigt, inwiefern Demokratie heutzutage gefährdet ist und wie und wo um ein demokratisches Gemeinwesen gerungen wird.

“Der Wirtschaft ihren Platz zuweisen”

Viele gesellschaftliche Probleme sind dadurch verursacht, dass Wirtschaft als Marktwirtschaft missverstanden wird und damit ökologische und soziale Anliegen zweitrangig werden. Diese verengte Sichtweise des Wirtschaftens erweist sich aber vielfach als zerstörerisch, weshalb im ersten Teil der Reihe nach Alternativen gesucht wird.

Veranstalter*innen

Abteilung für Gesellschaftstheorie und Sozialanalysen am Institut für Soziologie, JKU Linz (Roland Atzmüller, Brigitte Aulenbacher, Johanna Grubner)
Gesellschaft für Kulturpolitik (Wiltrud Hackl)
Institut für Angewandte Entwicklungspolitik (Harald Wildfellner)
Institute for Multi-Level Governance and Development, WU Wien (Andreas Novy, Magdalena Prieler)
International Karl Polanyi Society (Andreas Novy, Brigitte Aulenbacher, Melissa Erhardt, Rada Pantelic)
TU Wien (Leonhard Plank)
VHS Linz/Wissensturm (Katja Fischer)
VHS Wien (Stefan Jagsch) 

Kooperationspartner*innen:

Arbeiterkammer Wien (Markus Marterbauer) & Arbeiterkammer OÖ (Bettina Csoka, Josef Moser)